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Ampelkennzeichnung
#1
09. Dezember 2009, 12:54 Uhr
Ampelkennzeichnung bei Lebensmitteln
Industrie feiert Sieg über Verbraucherschutz


Die Frist läuft aus und sie bedeutet eine Schlappe für den Verbraucherschutz: Im Streit über die farbliche Kennzeichnung von Lebensmitteln haben sich die Lobbyisten der Industrie durchgesetzt. Eine Ampelkennzeichnung wird es wohl nicht geben - weil die Hersteller den besseren Draht nach Brüssel hatten.

Hamburg/Brüssel - Beim Wok-Gemüse-Curry und dem Bami Goreng war fast alles im grünen Bereich - aber der Wildlachs in Butter-Blätterteig schlug Frosta-Chef Felix Ahlers auf den Magen. "Bei gesättigten Fettsäuren war der rot", erzählt der Manager. Trotzdem ließ Ahlers die Lachspackung aus seinem Hause mit einer Nährwertampel bedrucken: Schon auf der Vorderseite ist nicht nur gut lesbar der Kaloriengehalt angegeben, sondern auch der von Salz, Fett, Zucker und gesättigten Fettsäuren. Grün, gelb oder rot unterlegt, je nach Menge.

Frosta-Chef Ahlers leitet ein Unternehmen für Tiefkühlware, das der Branche oft ein wenig voraus ist. Bei seinen Markenprodukten bewies Frosta als erster Hersteller, dass es auch ohne Zusatzstoffe und Geschmacksverstärker geht. Im August führte er auf den vier verkaufstärksten Produkten die Ampelkennzeichnung ein. Sicher, so Ahlers, Farben allein könnten kein Produkt erklären. "Aber eine schnelle Orientierung im Supermarkt ist damit allemal besser möglich als mit dem GDA-Modell."

Industrie kann jede Fett- und Zuckerbombe gesund schummeln

Für solche Sätze wird Ahlers von Verbraucherschützern gelobt - und von der eigenen Branche wie ein Aussätziger behandelt. Denn es ist ausgerechnet das GDA-System, das die Lebensmittelindustrie europaweit durchsetzen will. Das Kürzel steht für "Guideline Daily Amount" und ist das Gegenmodell zur Ampel, die vor vier Jahren von der britischen Lebensmittelbehörde entwickelt worden war.

Das GDA-System gibt den Nährwert eines Produkts anhand von Portionsgrößen an. Die jedoch, kritisieren Ernährungswissenschaftler und Verbraucherschützer, seien so willkürlich gewählt, dass die Industrie quasi jede Fett- und Zuckerbombe gesund schummeln könne. Eine solche Nährwertalgebra, oft in Winzschrift auf der Packungsrückseite, "kann kaum ein Verbraucher dechiffrieren", so Ahlers.


Seit vier Jahren nun tobt der Streit zwischen Industrie, Medizinern und Verbraucherschützern über eine verständliche Lebensmittelkennzeichnung. Eine Zeitlang sah es gut aus für die Ampel: Grüne, Linke und die SPD waren dafür - Anfang 2008 ließ Horst Seehofer, damals noch Verbraucherminister, sogar eine farbliche Kennzeichnung testen.

Doch die Industrie, allen voran Konzerne wie Danone, Coca-Cola und Mars lancierten Gegenstrategien. Sie ließen PR-Agenturen Kampagnen entwerfen gegen die britische Farbenlehre. Sie bearbeiteten die EU-Kommission in Brüssel und verwahrten sich gegen die "Diskriminierung" bestimmter Produkte. Besonders allergisch reagierte die Süßwarenindustrie. Ein Papier des Branchenverbands bezeichnete sogar Nährwertprofile schon als "Sprengstoff" für die Unternehmen. Man stecke in einer "Mammut-Lobbyarbeit", bei der sich der Einsatz der "industriefreundlichen Parlamentarier" bereits als "segensreich" erwiesen habe.

Renate Sommer hat Schlüsselrolle inne

Lobbyisten wie Matthias Berninger traten auf. Berninger war selbst mal Politiker und sorgte sich als Staatssekretär unter der grünen Umweltministerin Renate Künast um fettleibige Kinder und eine geeignete Lebensmittelkennzeichnung. Jetzt arbeitet er als Global Head of Public Policy für den US-Süßwarenmulti Mars - und gegen die Farbenlehre, die besonders Süßwarenhersteller treffen würde.

Das Einflüstern hatte Erfolg.

Sowohl in Berlin wie in Brüssel scheint die Ampel inzwischen ein Auslaufmodell. Seit zwei Jahren arbeiten EU-Kommission und Parlament an einer umfassenden Pflichtkennzeichnung für Lebensmittel. Die existiert bisher nämlich nicht. Doch weder im Kommissionsentwurf, noch im jüngsten Parlamentsbericht taucht eine verpflichtende Ampel auf. Es ist nicht mal sicher, ob freiwillige Ampelvarianten wie in Großbritannien in Zukunft noch möglich sind. Eine entsprechende nationale Öffnungsklausel, die die Kommission zugestanden hatte, strich die CDU-Europaabgeordnete Renate Sommer vergangene Woche aus ihrem Entwurf. Freiwillige Zusatzkennzeichnungen will sie nur zulassen, wenn wissenschaftliche Nachweise darüber vorliegen, wie diese verstanden werden. Sommer hat als Berichterstatterin im Verbraucherausschuss eine Schlüsselrolle in dem Prozedere.

Theoretisch können zwar noch bis zum heutigen Mittwoch um 18 Uhr im zuständigen Umweltausschuss Öffnungsklauseln für eine Ampel durchgesetzt werden. Doch Mehrheiten dafür sind nicht in Sicht. Selbst Verbraucherschützer scheinen daran kaum noch zu glauben: "Wir haben keine Chance", so Matthias Wolfschmidt von Foodwatch, "aber die nutzen wir."

Wolfschmidt traf in den vergangenen Tagen EU-Abgeordnete im Akkord. Doch manche kannten seine Organisation nicht einmal. Die Verbraucherverbände hätten vielfach die besseren Argumente, so Kartika Liotard von den Linken, aber ihnen fehle das Geld. "Über 80 Prozent des Lobbyings kam von der Industrie", so die Abgeordnete. In Stoßzeiten bekam sie 50 E-Mails pro Tag.

Foodwatch ist mit seinen Forderungen nicht allein

Sie kamen von Menschen wie Peter Loosen vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Er sagt, die Foodwatch-Ampel sei zwei Sommer "gut geflogen", danach aber entzaubert worden. Der BLL, der Lobbyverband der Lebensmittelwirtschaft, hat großen Anteil an dieser Entzauberung. Das Argument, die Ampel sei eine Bevormundung, wissenschaftlich nicht begründet und wirke wie ein Verbot - es verfing auch bei der Politik.

Tatsächlich ist das Ampelmodell relativ simpel. Vermeintlich gute Produkte wie etwa Milch oder Fruchtsaft lässt sie wegen des Fett- und Fruchtzuckergehalts schlecht aussehen. Doch diese Kritik lässt Foodwatch-Chef Thilo Bode nicht gelten. Man dürfe so eine Kennzeichnung nicht mit Erwartungen überfrachten. Die Leute hätten es bloß satt, "kleingedruckte Zahlenakrobatik auf den Verpackungen zu enträtseln".

Dazu kommt: Anders als die Industrie gern suggeriert, war Foodwatch mit seinen Forderungen nicht allein. Verbraucherzentralen, Elternvertreter, Ärzte und Krankenkassen sahen die Farbkennzeichnung nicht als Bevormundung, sondern als dringend nötige Einkaufshilfe. Unverständliche Nährwertkennzeichnungen seien Mitschuld an ernährungsbedingten Krankheiten wie Fettleibigkeit und Diabetes, so Ulrich Fegeler, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Knapp zwei Millionen Kinder und Jugendliche sind hierzulande zu dick. 70 Milliarden Euro pro Jahr fallen als Folgekosten ernährungsbedingter Krankheiten an. "Wenn es eine Ampelkennzeichnung gäbe, müsste ich Familien in der Praxis nicht mehr lang und breit erklären, welche Produkte tabu sind - stattdessen steht 'Rot' für 'Achtung!"

Dass die Ampel am Ende ohne Chance war, hat aber nicht nur mit der Industrie, sondern auch mit der Europaparlamentarierin Renate Sommer zu tun. Die Agrarwissenschaftlerin aus Herne vertritt die Mehrheitsfraktion der Christdemokraten (EVP) und reagiert fast allergisch auf Foodwatch, die sich, so Sommer, nur als Verbraucherschützer tarnten. Nationale Kennzeichnungen wären der "GAU für den Binnenmarkt", so die Berichterstatterin.

Sommers Büroleiter wechselt in die Industrie

Anders als die Kommission und die Industrie will Sommer als Bezugsgröße für Nährwerte zwar nicht allein irgendwelche Sofa-Portionen gelten lassen, sondern fordert als Vergleichsgröße immer 100 Gramm oder 100 Milliliter. Im Prinzip aber findet sie das GDA-Modell "tausendmal besser als die Ampel". Auch sonst ist Sommer relativ industrieaffin: Die skeptische Haltung zur grünen Gentechnik sollte schleunigst überdacht werden, die Prüfung der Werbeaussagen der Lebensmittelmultis dürfe nicht in "Werbezensur" ausarten, schreibt sie auf ihrer Internetseite. In ihrem Bericht hat Sommer viele Wünsche der Industrie eingearbeitet. Die ist zufrieden. "Uns schlägt da sehr wenig auf den Magen", sagt BLL-Geschäftsführer Loosen.

Dem Verbraucher aber wird es schwer gemacht, die neue Nährwertalgebra zu entschlüsseln. Ein Studium der Lebensmittelchemie ist hilfreich, gute Augen auch: Eine Mindestschriftgröße von drei Millimetern soll es nicht geben. Zudem will Sommer etwa die Angaben zu den Nährwerten - außer der Kalorienzahl - auf die Rückseite der Verpackung verbannen. Vor allem ihr Büroleiter in Brüssel, so Sommer, habe in den vergangenen Jahren viel Arbeit in die Entwicklung der Kennzeichnungsregeln gesteckt.

Er tat dies offenbar so geschmeidig, dass er im vergangenen Jahr abgeworben wurde - vom Lebensmittelmulti Kraft. Dort arbeitet er nun als Public-Affairs-Manager.



Quelle: Nils Klawitter / Spiegel Online
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