WHO erklärt Schweinegrippe zur globalen Seuche
So einen Fall gab es zuletzt im Jahr 1968: Die Weltgesundheitsorganisation hat für die Schweinegrippe die höchste Alarmstufe ausgerufen. Die Krankheit breitet sich global aus - auch wenn die meisten Erkrankungen mild verlaufen.
Genf/Stockholm - Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für die Schweinegrippe die höchste Warnstufe 6 ausgegeben. Das bestätigte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan am Donnerstag vor Journalisten in Genf. Das mutierte Virus H1N1 habe sich über mehr als zwei Kontinente ausgebreitet. Den letzten Pandemie-Fall mit Stufe 6 hatte die WHO im Jahr 1968 verkündet, als die Hongkong-Grippe grassierte.
Ab sofort gilt Warnstufe 6 für die Schweinegrippe
Warnstufe 6 wird ausgerufen, wenn es zu anhaltenden Mensch-zu-Mensch-Übertragungen des Erregers kommt und diese in mindestens zwei WHO-Regionen unabhängig voneinander auftreten. Bisher waren die meisten Ansteckungen auf dem amerikanischen Kontinent aufgetreten, vorwiegend in den USA und in Mexiko.
Mit der Anhebung auf Stufe 6 stellt die WHO die weltweite Ausbreitung des Erregers fest. Die höhere Pandemie-Warnstufe bedeutet nicht, dass das Virus gefährlicher geworden ist und mehr Todesfälle auftreten. Die meisten Erkrankungen der Schweinegrippe verlaufen mild, brauchen keine Behandlung und sind nicht tödlich. "Phase 6 hat keine Bedeutung hinsichtlich der Schwere der Krankheit. Sie ist nur bedeutend für die geografische Ausbreitung", sagte WHO-Sprecher Gregory Hartl. "Tatsächlich haben wir es bisher mit einer milden Erkrankung zu tun", so Hartl. Die Ansteckungszahlen seien zwar hoch, aber der Großteil der Fälle verlaufe harmlos und brauche keine Behandlung. Die Feststellung der Pandemie durch die WHO soll die Produktion von Grippemedikamenten beschleunigen, zudem sollen sich die Regierungen nun verstärkt um eine Eindämmung der Epidemie bemühen.
Das H1N1-Virus ist zur Zeit zwar hoch infektiös, aber relativ harmlos. In einer ersten im Fachmagazin " Science" veröffentlichten Analyse hatten Wissenschaftler damit gerechnet, dass sich das Virus weltweit ausbreiten würde. Die Forscher kamen in der Studie zu dem Ergebnis, dass der aktuelle Influenza-Erreger H1N1 ansteckender ist als die normale, saisonale Grippe. Etwa 0,4 bis 1,4 Prozent der Infizierten sterben an der Schweinegrippe. Das Virus scheine in etwa genauso gefährlich zu sein wie die H1N1-Variante von 1957. Damit - und das ist die gute Nachricht - wäre es deutlich weniger aggressiv als die Spanische Grippe von 1918/19. Ihr fielen schätzungsweise 40 bis 50 Millionen Menschen zum Opfer.
Bislang weltweit 141 Tote
Laut WHO-Angaben vom Mittwoch haben 74 Länder insgesamt 27.737 bestätigte Fälle von Schweinegrippe gemeldet - die Dunkelziffer beträgt laut Experteneinschätzung wahrscheinlich mehrere hunderttausend, da die meisten Infektionen so mild verlaufen, dass sie nicht registriert werden. Mehr als die Hälfte der bestätigten Fälle hat alleine die USA gemeldet. 141 Menschen sind weltweit an der Krankheit gestorben, davon 106 in Mexiko und 27 in den USA. Zum Vergleich: An normaler Grippe sterben Schätzungen zufolge jährlich weltweit rund 500.000 Menschen.
Beunruhigend war für Experten jedoch, dass unter den 141 Todesopfern viele junge und gesunde Menschen waren - die sonst kaum einer normalen Grippe zum Opfer fallen würden. Zudem hat sich die Verbreitung des Virus mit dem Beginn des Sommers in der nördlichen Halbkugel entgegen einem normalen Grippevirus kaum verlangsamt. Experten geben daher keine Entwarnung: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Virus noch in eine gefährlichere Form mutieren wird - vor allem in einer zweiten Welle.
Hintergrund der Erhöhung der Pandemie-Warnstufe sind Hunderte Fälle von Schweinegrippe in mehreren Ländern, darunter Australien, Japan, England und Spanien.
Auch in Deutschland kam es zu Ausbrüchen: In einer japanischen Schule in Düsseldorf haben sich mindestens 30 Schüler angesteckt. In Köln und München traten ebenfalls neue Schweinegrippe-Erkrankungen auf. Bundesweit gibt es 95 bestätigte Fälle.
Die WHO hatte am Donnerstag zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen. Die eingeladenen Wissenschaftler hatten darüber beraten, ob für die aktuelle Ausbreitung der Schweinegrippe Pandemie-Alarm gegeben werden sollte oder nicht. Die WHO wollte sichergehen, dass die Länder entsprechend vorbereitet waren, damit eine weltweite Panik vermieden wird.
Nationaler Pandemieplan gibt die Richtung vor
Trotz der Hochstufung der Schweinegrippe zu einer Pandemie wird sich in Deutschland nach Auskunft des Robert-Koch-Instituts (RKI) zunächst nichts Wesentliches ändern. In Deutschland gebe es bereits jetzt die von der WHO in der höchsten Pandemie-Alarmphase 6 geforderten Strukturen und Expertengespräche, sagte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher in Berlin. Auch Bund und Länder stimmten sich bereits regelmäßig ab.
Das Pandemie-Warnsystem der WHO umfasst sechs Stufen: In den ersten drei dominieren Infektionen unter Tieren, nur wenige Menschen sind betroffen. In Stufe 4 kommt es zu "anhaltender Übertragung von Mensch zu Mensch", wie die WHO auf ihrer Website erläutert. Stufen 5 und 6 sind durch "weitverbreitete menschliche Infektionen" gekennzeichnet.
Stufe 1: Keine neuen Influenza-Viren-Subtypen bei Menschen. Es können Viren unter Tieren kursieren, das Ansteckungsrisiko für Menschen ist aber gering.
Stufe 2: Wie in Stufe 1, allerdings besteht ein substantielles Risiko, dass Menschen erkranken.
Stufe 3: Die Alarmphase beginnt. Einzelne Menschen infizieren sich mit dem neuen Virus-Subtyp. Übertragungen von Mensch zu Mensch gibt es keine oder nur selten im Falle engen Kontakts.
Stufe 4: Vereinzelt wird das Virus von Mensch zu Mensch übertragen. Die Infektionen sind örtlich begrenzt, was den Schluss erlaubt, dass das Virus nicht gut auf den Wirt Mensch angepasst ist.
Stufe 5: Infektionen häufen sich. Übertragungen von Mensch zu Mensch bleiben jedoch örtlich begrenzt. Das Virus passt sich immer besser an den Menschen an, es besteht ein großes Pandemie-Risiko.
Stufe 6: Die Pandemiephase. Infektionen nehmen weiter zu, die gesamte Bevölkerung ist betroffen.
Die Erhöhung der Pandemiestufe auf 6 wird dazu führen, dass die einzelnen Länder ihre eigenen Alarmstufen anpassen und getreu ihren Pandemieplänen Maßnahmen einleiten werden. Auch Deutschland hat einen Nationalen Pandemieplan, der im Falle einer ausbrechenden Seuche regelt, was zu tun ist. Nur: Seine Umsetzung ist Aufgabe der Länder, denn Gesundheit und Katastrophenschutz fallen nicht in die Kompetenz des Bundes. So haben die einzelnen Bundesländer ihre eigenen Pandemiepläne entwickelt. Droht da möglicherweise Kompetenzgerangel im Katastrophenfall? Das Bundesgesundheitsministerium bestreitet dies und verweist auf den Nationalen Pandemieplan, in dem die Verteilung der Bund-Länder-Kompetenzen geregelt ist. Und zwar so:
Laut Nationalem Pandemieplan soll eine Interministerielle Koordinierungsgruppe (mit der Abkürzung IntMinKoGr) die entscheidende Nahtstelle zwischen Bund und Ländern sein. "Mitglieder der IntMinKoGr sind Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Bundesressorts und der betroffenen Länder", heißt es in dem Papier.
Ab Risikophase 4 wird ein interner Krisenstab im Bundesgesundheitsministerium (BMG) einberufen. "Auf Bundesebene bereitet der Krisenstab [im BMG, Anm. d. Red.] gesundheitsbezogene Lösungsstrategien vor und bringt diese in den Gemeinsamen Krisenstab des BMI und des BMG oder die Interministerielle Koordinierungsgruppe ein."
Ein zweiter Krisenstab ist vorgesehen: der Gemeinsame Krisenstab der Bundesministerien für Inneres (BMI) und für Gesundheit. Seine Aufgabe im Behördendeutsch: "Dieser Krisenstab hält Kontakt zu den Krisenstäben der anderen Ressorts und der Länder und dient insbesondere der bereichsübergreifenden Abstimmung zeitkritischer Entscheidungen und Maßnahmen sowie der Risikokommunikation."
Fachlich beraten wird der Krisenstab vom Robert-Koch-Institut, dem Paul-Ehrlich-Institut und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Der zweite Krisenstab wurde bisher nicht einberufen. Dieser würde erst aktiv, wenn zum Beispiel öffentliche Großveranstaltungen untersagt werden müssten. Dafür gab es aber bisher keinen Anlass.
Mehrere Pharmakonzerne arbeiten bereits an einem Impfstoff gegen die Schweinegrippe. Bis zur Fertigstellung können allerdings bis zu sechs Monate vergehen. Die WHO sorgt sich auch schon um mögliche Verteilungskämpfe bei der Impfstoffverteilung. Weil reiche Länder, darunter Frankreich und Deutschland, bereits Verträge mit den Impfstoffherstellern abgeschlossen haben, könnten Entwicklungsländer nicht ausreichend mit Impfstoff versorgt werden. Die WHO geht davon aus, dass binnen eines Jahres höchstens 4,9 Milliarden Impfdosen hergestellt werden können. Das würde nicht für alle 6,8 Milliarden Menschen auf der Erde reichen, zumal jeder in der Regel zweimal geimpft werden muss. Ein weiteres Problem: Um die benötigten Mengen an Impfstoff gegen Schweinegrippe herzustellen, müssten die Hersteller die Produktion von Medikamenten gegen normale Grippe stoppen. Eine schwierige Abwägung, denn auch dadurch könnten Menschen gefährdet werden.
Im letzten Jahrhundert gab es drei Pandemien:
Zwischen 1918 und 1919 erkrankte ein großer Teil der Weltbevölkerung an der Spanischen Grippe. Nach WHO-Schätzungen fielen der Krankheit 40 bis 50 Millionen Menschen zum Opfer. Sie breitete sich damals in nahezu jeden Winkel der Erde aus und erreichte auch die Arktis und die abgelegenen pazifischen Inseln. An ihr werden alle nachkommenden Grippe-Epidemien gemessen.
Zwischen 1957 und 1958 grassierte die Asiatische Grippe. Etwa vier Millionen Menschen starben daran. Sie hatte ihren Ursprung in Südchina und breitete sich nach Singapur, Hongkong und in die USA aus.
An der sogenannten Hongkong-Grippe starben weltweit etwa zwei Millionen Menschen. Sie wurde Anfang 1968 in Hongkong entdeckt und griff auf die USA über. Ihren Höhepunkt erreichte die Grippewelle Ende 1968.
lub/hda/AFP/AP/Reuters
Spiegel Online