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"Containern" von Lebensmitteln
#1
Wir alle haben von Aktionen gegen Lebensmittelverschwendung gehört. Aktionen wie “Zu gut für die Tonne“ oder Ähnliche sollen sensibilisieren, um Lebensmittel besser zu wertschätzen. Doch das Containern (auch Dumpstern genannt) von Lebensmitteln, welches einerseits von bedürftigen Menschen vollzogen wird, andererseits aber auch von politischen Aktivisten betrieben wird, die damit ein Zeichen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln setzen wollen, kann rechtliche Konsequenzen mit sich bringen.

Um einen solchen Fall ging es nun in einem Prozess in Eschwege, den ich Euch hier eingestellt habe.

20.02.14 Eschwege
Richter und Staatsanwaltschaft:Zweifel und Beweismangel
Lebensmitteldiebstahl? Freispruch für Witzenhäuser Studenten

Witzenhausen/Eschwege. Die drei Witzenhäuser Studenten, gegen die am Donnerstag vor dem Amtsgericht Eschwege verhandelt wurde, sind freigesprochen worden. Ein Einbruchsdiebstahl konnte nicht bewiesen werden, sagte Richter Dr. Alexander Wachter.

Video zum Artikel
Den Ausschlag gab die Aussage der ehemaligen Leiterin der Witzenhäuser Tegut-Filiale. Sie sagte, dass Lebensmittel zwar mit einem Gerät als Produkte identifiziert werden könnte, die auch bei Tegut verkauft werden, eine Zuordnung zu einem Markt sei aber nicht möglich. Ein Tegut-Mitarbeiter, der am ersten Verhandlungstag ausgesagt hatte, hatte ein solches Gerät verwendet, um die nachts bei einer Polizeikontrolle im Auto der Studenten gefundenen Lebensmittel zu identifizieren.

Deshalb hatte der Staatsanwalt nach der Vernehmung der Zeugin Zweifel, den Vorwurf gegen die Studierenden halten zu können. Diese könnten auch nicht ausgeräumt werden, wenn die anderen geladenen Zeugen vernommen würden – die Vorsitzende der Witzenhäuser Tafel, der Tafel-Fahrer und ein Polizist.

Da nicht zu klären sei, ob die Lebensmittel vom Witzenhäuser Tegut stammen, plädierte er auf Freispruch. Dem schlossen sich die drei Göttinger Anwälte der Angeklagten in ihren Plädoyers an und nutzten die Schlussrede für Kritik an den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, die ein „Lehrstück dafür seien, wie man es nicht machen sollte".

Das letzte Wort hatten die drei Angeklagten, die sich damit erstmals im Prozess äußerten. Sie sprachen sich unter anderem dafür aus, dass nicht mehr bestraft werden soll, wer sich aus Containern an Geschäften Lebensmittel holt, die ohnehin weggeworfen werden sollen. In der Welt, die sie sich wünschten, sagte Tamara Gremmelspacher, dürfe man nachts mit Brot im Auto durch Witzenhausen fahren, ohne dafür strafrechtlich verfolgt zu werden.

Hintergrund: Was bisher geschah
Drei Studenten sollen im Juni 2013 Lebensmittel vom Gelände des Witzenhäuser Tegut-Marktes gestohlen haben, die für die Tafel bestimmt gewesen sein sollen. Gegen sie wurden ein Strafbefehl wegen Einbruchsdiebstahl erlassen, wogegen die Angeklagten Einspruch einlegten. Am 4. Februar kam es deshalb zur Verhandlung vor dem Eschweger Amtsgericht. Widersprüche, insbesondere in Bezug darauf, ob die Lebensmittel tatsächlich für die Tafel bestimmt gewesen seien und überhaupt über den hohen Zaun vor dem Tegut-Gelände befördert werden könnten sowie mehrere Beweisanträge der Anwälte führten zur Vertagung des Prozesses.

Quelle: Werra-Rundschau online
Den ganzen Artikel im Original lesen Sie hier
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#2
Puh das ist ja wirklich eine sehr schwierige Ausgangssituation. Letztendlich kann man niemanden dazu zwingen, seine Lebensmittel der weiteren Verwendung zu opfern. Aber gut.

Danny
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#3
Die Basis für die Situation des "Containerns" liefern wir alle in bester Eintracht "frei Haus" - egal, ob Privathaushalte, Handel, Industrie, Gastronomie etc. Hier geht´s zur Studie der Universität Stuttgart zum Thema Lebensmittelabfälle und ihre Entstehung (im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung im Jahre 2012 veröffentlicht) : http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/...cationFile.

Wenn wir uns die Situation ausnahmsweise mal nicht schönreden, dann verbrauchen wir in Deutschland der Studie zufolge zwischen 6,5 und 20 Mio. Tonnen, im Mittel der Untersuchung also ca. 11 Millionen Tonnen (!!!) Ressourcen, die vom Feld bis zum Teller weggeworfen werden. Ob daraus Tierfutter wird oder jemand sie "containert" - Fakt ist: Lebensmittel werden nur zu einem kleinen Teil ihrer eigentlichen Bestimmung, nämlich der Verzehrsfähigkeit zugeführt.

Ältere Schätzungen aus den 1980ern gingen bereits von 20 % tatsächlicher Nutzung und 80 % Verlustquote aus. Die neueren Zahlen scheinen diesen Wahnsinn zu bestätigen. Ich fürchte, auch HACCP und andere Hygienebewertungen, -zertifikate etc. tragen ihren Teil dazu bei. Es wäre spannend, dies einmal genauer zu erforschen.

Aktuelle Literatur zum Thema gibt´s gerade sehr günstig bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), z. B. http://www.bpb.de/shop/buecher/schriften...odmonopoly für € 4,50 (verfügbar, solange der Vorrat reicht) statt für € 19,95 (Original aus dem Oekonom-Verlag). Aber keine Angst, hier müssen die Autoren nicht etwa "containern", weil ihr Buch unter Wert verkauft wird. Es handelt sich bei der bpb-Ausgabe vielmehr um einen Lizenzdruck, für dessen günstige Zur-Verfügung-Stellung der Steuerzahler bereits aufgekommen ist.

Mehr zum Themenbereich "Klima, Ressourcen, Umwelt" bei der bpb: http://www.bpb.de/shop/buecher/schriften...cen-umwelt. Falls jemand jetzt Vermutungen anstellt: Nein, ich erhalte keine Provision für den Tipp zu dieser Beschaffungsquelle - sie bietet anerkanntermaßen sehr viele und sehr gute Informationen für vergleichsweise wenig Geld. Icon_smile
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#4
Unabhängig von der Thematik, Lebensmittel nicht zu verschwenden und die damit verbundenen Ressourcen sinnvoll und schonend einzusetzen, bleibt "Containern" aus meiner Sicht eine Straftat. Wenn eine natürliche oder juristische Person sich entschließt, ihr Eigentum unentgeltlich an einen Dritte abzugeben oder zu vernichten heißt das nicht, dass die Eigentumsrechte erlöschen. Und zu diesem Falle oben: Es ist gut, dass in unserem Rechtssystem die Schuld bewiesen werden muss, doch es muss ja auch ein Anfangsverdacht bestanden haben. Oder läuft in Witzenhäusen jeder LEH-Mitarbeiter nachts mit einem EAN-Code-Scanner durch die Straßen und scannt alles und jeden?
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#5
Im März 2021 wurde die Lebensmittelhygieneverordnung geändert. Diese Änderungen beziehen sich auch erstmals auf Regelungen, die eine Abgabe von Lebensmitteln an Bedürftige regelt, im Gesetzestext "Lebensmittelspenden umverteilen". 

Die getroffenen Regelungen bringen aus meiner persönlichen Sicht aber leider keine wirklichen Verbesserungen. Hat ein Lebensmittelunternehmer vor, Lebensmittel zu spenden, bleibt er auf jeden Fall bis zur Abgabe in der Haftung. 

1.) Im ersten Teil des neuen Kapitels Va wurde der Zeitpunkt der möglichen Abgabe entsprechend der Produktart definiert. Nachvollziehbar dürfen sehr leicht verderbliche Lebensmittel (mit Verbrauchdatum) nur bis zum Verbrauchsdatum abgegeben werden. Produkte mit oder ohne MHD zu jedem anderen Zeitpunkt.  Soweit, so gut.

2.) Der zweite Teil regelt aber die Bedingungen, die zu einer Abgabe führen dürfen. Es ist mindestens eine Prüfung auf die Verzehrsfähigkeit vorzunehmen. Auch das nachvollziehbar. Jetzt kommen aber Formulierungen, die für mich eigentlich den Gedanken der Umverteilung wieder aufheben, sogar dem deutschen Konzept "zu gut für die Tonne" entgegenstehen.
Es ist nämlich bei der Bewertung zu beachten, dass:
"das Mindesthaltbarkeitsdatum ... gewährleistet ..., dass die verbleibende Haltbarkeitsdauer ausreicht, um eine sichere ... Verwendung durch den Endverbraucher zu ermöglichen" ??? 

Hier entstehen für mich viele Fragen. Gebe ich ein verpacktes Produkt nach dem MHD ab, ist die Haltbarkeitsdauer nicht mehr definiert. Wie kann ich nun sicherstellen, dass der Endverbraucher es innerhalb verbleibenden Haltbarkeitsdauer verwendet? Weiterhin sind bei der Bewertung vor der Umverteilung "... die ordnungsgemäßen Lager- und Beförderungsbedingungen, einschließlich der geltenden Temperaturanforderungen..." zu berücksichtigen. Ein enger Kontakt zur caritativen Einrichtung wäre für diese Bewertung sinnvoll, oder?

Zusammenfassend: Müssen Produkte, deren MHD überschritten ist, vor einer Lebensmittelumverteilung durch den angebenden Lebensmittelunternehmer mit einem verlängerten MHD inklusive einer Lagertemperatur etikettiert werden?


Übrigens, fast zeitgleich mit der Änderungsverordnung wurden die Preisträger 2021 für zu gut für die Tonne - Nominierungen 2021 nominiert. Icon_smile Herzlichen Glückwunsch.
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#6
Da die bisherige Rechtsprechung das „Containern“ nach wie vor als Diebstahl einordnet, was im Grundsatz kürzlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist, liegt hier keine „Abgabe“ im eigentlichen Sinn vor. Diese Einschätzung ist eine „Kann“-Entscheidung: https://www.tagesschau.de/inland/contain...l-101.html.

Auch ein Vertragsverhältnis wie beim Kauf, Miete oder sonstiger willentlicher und wissentlicher Überlassung kann nicht vorausgesetzt werden. Daher liegt der Ball zur Zeit beim Gesetzgeber, hier Klarheit zu schaffen, damit sich Hygiene- und QM-Fragen überhaupt abschließend beantworten lassen. Vorschläge dazu finden sich z. B. https://www.sueddeutsche.de/politik/cont...-1.4672444

Wir müssen uns fragen, warum Deutschland „Weltmeister“ im (Lebensmittel-)Verschwenden ist, Frankreich verbietet Lebensmittelverschwendung bereits seit 2015. Die Verantwortung liegt ganz und gar beim Nutzer. Die „Containerer:innen“ (nicht mal das Wort lässt sich integrieren Wink) gehören bisher nicht zur klagefreudigen Klientel, sondern sind sich der Eigenverantwortung mehrheitlich sehr wohl bewusst. Vielleicht ist es ganz gut, dass sich nicht alles reglementieren lässt, sonst würde manche private Küche noch ins Visier der QM geraten Wink https://m.youtube.com/watch?v=w7UYoxFeKqc.
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#7
(18.03.2021, 09:29)mglass schrieb: Da die bisherige Rechtsprechung das „Containern“ nach wie vor als Diebstahl einordnet, was im Grundsatz kürzlich vom Bundesverfassungsgericht bestätigt worden ist, liegt hier keine „Abgabe“ im eigentlichen Sinn vor.

Ich gebe Dir Recht. Eigentlich ist dies genau der Punkt, welcher mich ärgert. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist ja korrekt, aber in der Entscheidung wird ja gerade auch eine politische Diskussion und Lösung gefordert. Als Lebensmittelunternehmer würde ich nach der aktuellen Rechtslage auch selber jeder "Containern" zur Anzeige bringen um mich selbst zu schützen. Die Frage ist doch: Würde ich als Lebensmittelunternehmer das "Containern" erleichtern oder sogar "fördern", bleibt es dann Diebstahl oder würde es dann zur "Abgabe" im eigentlichen Sinne kommen? Ich denke, ein Kernproblem stellt doch die Rechtsunsicherheit bezüglich des Gefahren- und damit des Verantwortungsübergangs dar. ...

Als ich die Erwägungsgründe der neuen Verordnung gelesen habe, hatte ich eigentlich gedacht, wir kommen in dieser Diskussion endlich etwas vorwärts:
"Die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem ... ist ein Schlüsselelement der Initiative für einen europäischen Grünen Deal. ... Mit der Umverteilung von Lebensmittelüberschüssen für den menschlichen Verzehr ... wird sowohl gewährleistet, dass essbare Lebensmittelressourcen für den Zweck mit der höchsten Wertschöpfung verwendet werden, als auch, dass Lebensmittelverschwendung vermieden wird."

"... 2018 nahm die Behörde ein ... Gutachten zu Ansätzen für die Gefahrenanalyse für bestimmte kleine Einzelhändler und Lebensmittelspenden ... Laut diesem Gutachten bringen Lebensmittelspenden auf der Ebene des Einzelhandels mehrere neue Herausforderungen für die Lebensmittelsicherheit mit sich ... Daher müssen ... Vorschriften festgelegt werden, um die Umverteilung von Lebensmitteln zu fördern und zu erleichtern und gleichzeitig ihre Sicherheit für die Verbraucher zu gewährleisten."

Ich bin kein Jurist, aber eigentlich sehe ich in den Regelungen im Moment keine wirklichen Erleichterungen. ???
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#8
Huh  Vielleicht vereinfache ich zu stark, aber auch eine Spende liegt hier nicht vor, denn die ist zweckgebunden und an eine definierte Gruppe gerichtet.

Warum vertrauen wir nicht auf die Nutzerintelligenz? Jede/r weiß, dass Dinge aus dem Abfall nicht mehr oder nur mit Vorsicht genutzt werden können. Niemand käme auf die Idee, ein technisches Gerät vom Sperrmüll ohne Instandsetzung bzw. Überprüfung einzusetzen. Wer das dennoch tut und dadurch Schaden nimmt, wendet sich bisher nicht an den Vorbesitzer oder gar den Müllentsorger, sondern an einen Arzt.

Das Leben basiert nicht auf Vernunft, sondern auf vitalen Vorgängen. Manches ist möglicherweise nicht zu reglementieren, sondern bedarf direkter Kommunikation zwischen den Beteiligten - miteinander reden könnte ungemein helfen. 

Idea Ich plädiere dafür, best practise zu veröffentlichen und zu zeigen, was auf Abgabeseite getan werden kann, um Lebensmittelverschwendung zu minimieren. - Vielleicht formuliere ich hiermit ja bereits das Vorwort zu IFS 8? -
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